Dienstag abend sind sie noch alle da: Die flachen Zelte auf den Grünflächen inmitten des Tahrir-Platzes, dicht gedrängt hinter niedrigen Gittern, um die sich hupend Autos und Busse drängen. Ägyptische Fahnen sind zwischen die Zeltplanen gespannt, überall hängen die Bilder derer, die bei den Protesten der letzten Wochen ums Leben gekommen sind. Zwei Eingäng zur kleinen Zeltstadt: Auf der einen Seite werden Frauen (von Frauen) abgetastet, auf der anderen Seite Männer, die Ordner_innen tragen Schildchen in den Farben der ägyptischen Flagge mit dem Titel 25. Januar - dem Tag, an dem mit der ersten großen Demonstration auf dem Tahrir-Platz die Revolution in Ägypten begann.
Misstrauen, als die jungen Leute das Mikrofon und Aufnahmegerät entdecken. "Wir haben schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht", sagt ein Mann entschuldigend und springt davon um eine ägyptische Zeitung zu holen. Er deutet auf einen Artikel: "Sie schreiben Lügen über uns. Hier steht, die Protestierenden würden Passanten belästigen." Dennoch: Willkommen. Im Camp herrscht an diesem Abend Trubel, ein wildes Durcheinander von Stimmen, Meinungen, Bildern, jede_r will seine Fragen, seine Ansichten loswerden, das Interesse daran, wie die Revolution in Europa gesehen wird, ist groß: Was denkt Ihr über uns? Was glaubt Ihr wie es weitergeht? Die im Camp noch Verbliebenen sind größtenteils junge Männer, die Gruppe ist sehr heterogen, viele sprechen nur Arabisch, haben sich bisher wenig mit Politik beschäftigt, einige wenige sprechen Englisch oder Französisch, wissen über europäische Politik bestens bescheid. Auch einige junge Frauen sind im Camp unterwegs, sie sprechen fließend Englisch und treten sehr entschieden auf.
Vor der Räumung: Revolutions-Devotionalien am Rande des Tahrir
Der nächste Tag ist - überraschend - der letzte für das kleine Camp. Nach mehreren Angriffen von Schlägertrupps auf das Camp - je nach Einschätzung Anhängern des alten Regimes und/oder Schlägertrupps, die die Mubarak-Partei NDP bezahlt hat - räumt das Militär am Abend den Platz. Mehrere Leute werden bei den Auseinandersetzungen verletzt, das Militär verhaftet schließlich diejenigen, die zum Schluss noch im Camp waren sowie einen Teil der Angreifer, am Donnerstag morgen kommen alle Verhafteten wieder frei.
http://www.taz.de/1/politik/nahost/artikel/1/tahrir-platz-in-kairo-geraeumt/
Al-Jazeera berichtet von Gewalt des Militärs gegen die Protestierenden bei der Räumung:
http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/03/201139175317866295.html
Die Aktivisten mit denen wir gesprochen haben und die teilweise bis zum Schluss auf dem Platz waren, haben dies nicht alle bestätigt. Die Einschätzungen bezüglich des Verhaltens des Militärs und der Bedeutung der Räumung geht, wie im taz-Artikel beschrieben, weit auseinander. So berichtet eine Aktivistin, die Militärs hätten sich durchaus korrekt verhalten, die Festnahmen seien zum Schutz der Verhafteten selbst erfolgt, die Verhafteten gut behandelt worden. Ein anderer Aktivist sieht die Rolle des Militärs kritischer: Die Militärs hätten den ganzen Tag über nicht eingegriffen, als die Protestierenden auf dem Platz von den bewaffneten Schlägertruppen angegriffen worden seien. Und als sie schließlich eingriffen, hätten sie die Protestierenden nicht verteidigt, sondern den ganzen Platz geräumt - die Angreifer hätten so ihr Ziel, die Menschen vom Platz zu vertreiben, erreicht.
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